Ein halbes Leben im Dienst der Schifffahrt.
Das Horn der "Europa" ertönt dreimal. Roger Maurer steht auf der Backbordseite des Schiffs. Kurze graue Haare, Ohrring im linken Ohr, moderne Brille, die weisse Kapitänsmütze auf dem Kopf. Mit rechts legt er den Füllhebel um. Das Schiff fährt langsam rückwärts. In der linken Hand hält er einen Joystick, mit dem er das Ruder bedient. Was einfach aussieht, ist das Resultat von jahrelanger Erfahrung.
Der Weg zur weissen Mütze.
"Als Schiffsführerin oder Schiffsführer braucht man viel Routine. Man muss das Schiff in- und auswendig kennen und immer in der Lage sein, das Wetter einzuschätzen", erklärt Roger Maurer und blickt auf den Vierwaldstättersee. Entsprechend lange dauert es, bis man alle Prüfungen abgelegt hat und auch Schiffe für über 700 Personen oder Dampfschiffe führen darf: "16 bis 22 Jahre", schätzt er. Nach drei Jahren als Schiffsführer der grössten Schiffsklasse darf man dann den inoffiziellen Titel Kapitän und die weisse Mütze tragen.
Bereits als Jugendlicher interessiert sich Roger Maurer für die Schifffahrt. Neben der Schule arbeitet er in der Gastronomie auf einem Schiff und verdient sich so sein Sackgeld. Von da an lässt ihn die Schifffahrt nicht mehr los: Er macht das KV bei der Schifffahrtsgesellschaft Vierwaldstättersee, wird Matrose und arbeitet sich hoch zum Schiffsführer und Kapitän.
Ein vielseitiger Beruf.
Roger Maurer übergibt das Steuer seinem jüngeren Kollegen. Mit einem Hornen kündigt dieser die Einfahrt beim nächsten Steg an. "Nächster Halt Vitznau", informiert Roger Maurer über die Lautsprecheranlage. Der Kapitän und seine Mitarbeiterin werfen die Seile über die Pfosten und fixieren das Schiff mit Muskelkraft und geschickter Anwendung des Prinzips der Kraftumlenkung am Steg. Schifffahrt ist auch Knochenarbeit. Die beiden ziehen die schwere Zugangsbrücke aufs Schiff. "Ciao Ueli", verabschiedet Roger Maurer einen Passagier, als dieser über die Zugangsbrücke läuft.
Die Aufgaben des Schiffsführers gehen über die Nautik hinaus. Er hat die Verantwortung für die ganze Crew. «Am Morgen gibt es ein Briefing. Dort informiere ich die Mannschaft. Was gibt es heute Spezielles? Wie sind die Wetter- und Windverhältnisse?» Gleichzeitig spricht er sich mit dem Chef de Service ab, damit in der Gastronomie alles rund läuft. «Welche Gäste erwarten wir heute? Was sind ihre Bedürfnisse?»
Im Wandel der Zeit.
Roger Maurer pflegt einen lockeren Umgang mit seiner Mannschaft. Der Kapitän packt an, scherzt, hilft aus, wenn er irgendwo gebraucht wird. «Als ich anfing, war die Hierarchie an Bord noch viel spürbarer. Das hat sich geändert. Und das ist gut so. Auch mit den jüngeren Generationen gehen wir heute zum Glück ganz anders um, als es damals der Fall war.»
Verändert hat sich über die Jahre auch die Technik. «Mit den heutigen Schiffen können wir präzisere Manöver fahren als früher.» Trotzdem: Am liebsten gleitet er noch immer im Dampfschiff über den Vierwaldstättersee – «das ist die Königsdisziplin».
2028 wird Roger Maurer ins Pensionsalter kommen. Bis dahin wird er dem Nachwuchs mit seiner Erfahrung, seinem Wissen und seiner Freude an der Arbeit weiter als Vorbild dienen – damit sich diese irgendwann ihren Traum erfüllen können, die weiße Mütze auf dem Kopf zu tragen.